ENDE

»F wie Fälschung«

Gefälschte Provenienzen in der Literatur und ihren Wissenschaften

Internationale Tagung
Deutsches Literaturarchiv Marbach / Hybrid-Veranstaltung 


21.22. September 2023

Die Erwerbsentscheidungen von Kulturgut sammelnden Institutionen wie Bibliotheken, Literaturarchiven und -museen basieren in der Regel auf dem Provenienzprinzip: Manuskripte, einzelne Bücher oder ganze Buchsammlungen werden erworben oder ausgestellt, weil ihnen aus ihrer Besitzgeschichte heraus kulturgeschichtliche Relevanz zugesprochen wird, weil sie beispielsweise aus der Autorenbibliothek Goethes stammen oder aus der Autographensammlung Stefan Zweigs. Der Ursprung solcher Wertzuschreibungen reicht historisch weit zurück, im deutschen Sprachraum bis in die Zeit der Genieästhetik, daraus abgeleiteten Vorstellungen von Originalität und deren rechtlicher Kodifizierung, zum Beispiel im Urheberrecht.

Doch was, wenn sich die Herkunftsgeschichte eines literarischen Objekts als manipuliert herausstellt? Wenn Handschriften, Kodizes oder ganze Bücher gefälscht sind und die Nachprüfbarkeit ihrer Originalität gezielt – zum Beispiel durch fingierte Auffindenarrative – verschleiert wird? Literarische Fälschungen verunsichern die Vorstellungen, die sich die Geisteswissenschaft in Benjaminscher Tradition von Begriffen wie Authentizität, Aura oder Autorität gemacht hat. Dass sie dabei gleichsam faszinieren, demonstrieren prominente Beispiele aus der älteren wie jüngeren Literatur- und Mediengeschichte: die Fälschung von Schillerhandschriften im 19. Jahrhundert durch Heinrich von Gerstenbergk etwa oder die Stern-Affäre um die gefakten Hitler-Tagebücher in den 1980er Jahren. Ihre Faszination ziehen Fälle wie diese nicht nur aus der darin waltenden kriminellen Energie, sondern immer auch aus der produktiven Dimension, die der Manipulation innewohnt. So bringen gefälschte Provenienzen Wissens- und Praxisformen hervor, die ohne sie nicht möglich wären. Das gilt sowohl für Fälscher:innen, die sich die Stil- beziehungsweise Genrevorgaben des Originals aneignen und perfektionieren müssen, als auch für diejenigen, die auf den Wert des Originals angewiesen sind und somit auch auf Verifizierungspraktiken: Auktionshäuser, Händler:innen und Versicherungen, private und institutionelle Sammler:innen. Die interdisziplinäre Verzahnung von Expertenwissen, auf die jede Provenienzforschung angewiesen ist, deutet sich hier bereits an.

Im Falle gefälschter Provenienzen ist dieses Spektrum sogar noch weiter zu fassen, es erstreckt sich auf Akteure aus juristischen und kriminalistischen Feldern und im Zeitalter fortschreitender Digitalisierung auch auf die Digital Humanities und materialbasierte digitale Sammlungsforschung.

Die produktive Dimension von Fälschungen zeigt sich darüber hinaus in ästhetisch-kreativer Hinsicht. Denn interpretiert als eine Kunstform eigenen Rechts, strahlt die Faszination von Fälschungen auch in die Literatur selbst aus und prägt hier die Inhalte von Texten. Fälscher:innenfiguren bevölkern die erzählende Prosa verschiedenster Epochen, sie begegnen uns in Ludwig Tiecks Die Gemälde (1821) ebenso wie in Daniel Kehlmanns F (2013) oder John Irvings The Water-Method Man (1972). Dazu kommen literarische Texte, die selbst Produkt einer Fälschung sind. Diesem Phänomen begegnet man bereits im Zusammenhang mit Texten und Pseudo-Autorschaft in der Klassischen Antike, aber auch bei Johann Wilhelm Pustkuchens anonymer Fortsetzung von Goethes Wilhelm Meister (1821) oder komplett gefälschten Bänden der Harry Potter-Reihe in China. Weitere Forschungsfragen aus einer dezidiert literaturwissenschaftlichen Perspektive betreffen zudem Genres, die sich als besonders ›fälschungsaffin‹ erweisen oder nach der Rolle fahnden, die den paratextuellen Anteilen von Literatur (zum Beispiel dem Autor:innenname) als (vermeintlichen) Authentizitätsfaktoren zukommt.

Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.

Die Hybrid-Tagung ist für Interessierte nach Anmeldung (unter: forschung@dla-marbach und marie.limbourg@dla-marbach) geöffnet. Logindaten für die Zoom-Übertragung werden nach der Anmeldung mitgeteilt.

  Programm

 Call for Papers als Download

 Tagungsbericht

Konzeption

Dr. Anna Kinder (Leitung Forschungsreferat – Deutsches Literaturarchiv Marbach)
Prof. Dr. Stefan Höppner (Forschungsverbund MWW – Klassik-Stiftung Weimar)
Dr. Stefanie Hundehege (Forschungsverbund MWW – Deutsches Literaturarchiv Marbach)
Sarah Gaber, M.A. (Forschungsverbund MWW – Deutsches Literaturarchiv Marbach)

Organisation und Koordination

Birgit Wollgarten (Sekretariat Forschung – Deutsches Literaturarchiv Marbach)
Marie Limbourg (Koordination Forschungsverbund MWW – Deutsches Literaturarchiv Marbach)