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Die Sammlung(en) Zweig

Bestandslinien zwischen Marbach und London

»Ich beauftrage Sie mit dem kommissionsweisen Verkauf meiner Autographensammlung u[nd] zw[ar] zunächst mit deren ersten Teil, umfassend Deutsche Literatur, Gelehrte und Komponisten.«[1] Mit diesen Zeilen an den Wiener Antiquar Heinrich Hinterberger läutete Stefan Zweig am 15. Dezember 1935 aus dem Londoner Exil heraus die Auflösung seiner Autographensammlung ein. Es war der erste größere Teilverkauf der in seiner Salzburger Villa zurückgebliebenen Privatsammlung Zweigs, die zu diesem Zeitpunkt aus circa 1.000 Autographen[2] und seiner schätzungsweise 10.000 Bände umfassenden Bibliothek[3] bestand. Seit seiner jähen Emigration im Februar 1934 – Zweigs Reaktion auf eine kaum als Hausdurchsuchung verhohlene Polizeischikane – lebte er in einer kleinen Wohnung, deren Beengtheit nur die Übersiedlung eines Bruchteils seiner ursprünglichen Bücher- und Autographenkollektion in die britische Hauptstadt zuließ.


Auktionskataloge aus der Sammlung Stefan Zweig. (Foto: Chris Korner, DLA Marbach)

Zweigs Korrespondenz mit Hinterberger zum Verkauf seiner Autographen liegt heute in der British Library. Die Briefe dokumentieren die arbeitsintensive Vorbereitung des Verkaufs dieser in gleichem Maße umfangreichen wie hochkarätigen Sammlung. Zweig verlangte beispielsweise den Druck eines eigenen bebilderten Verkaufskatalogs und drang darauf, die darin angebotenen 304 Stücke möglichst en-bloc zu verkaufen. Die Korrespondenz gibt darüber hinaus Einblick in die teils zähen Verhandlungen: Zweig lehnte Hinterbergers Vorschläge zu einigen potentiellen Käufern ab, da diese in seinen Augen keine »richtigen« Sammler seien; mehrere Interessenten bemängelten wiederum ihrerseits den geforderten Kaufpreis als zu hoch. Im März 1936, auch dies ist in den Briefen festgehalten, konnte immerhin der Verkauf der im Katalog enthaltenen ersten und weitaus umfangreichsten Abteilung I (»Deutsche Dichter und Denker«[4]) schließlich doch zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Ihr neuer Besitzer war der Schweizer Privatgelehrte Martin Bodmer. Er erwarb zunächst 193 der 231 angebotenen Dichtermanuskripte,[5] womit immerhin der gewünschte en-bloc-Verkauf der Abteilung I annähernd erzielt wurde. Im Frühjahr 1937 kaufte Bodmer schließlich auch noch einen zweiten Teil –  nichtdeutsche Autographen – von Zweigs Sammlung.

Nicht nur der Verkauf der Autographen, sondern auch die Auflösung seiner Salzburger Privatbibliothek aus dem fernen London stellte Zweig vor einige logistische Schwierigkeiten und er sah sich mehrmals gezwungen, für kurze Aufenthalte nach Salzburg und Wien zurückzukehren. Nach Aussage Zweigs wurden nur etwa 500 Bücher nach London verschickt; seine erste Ehefrau Friderike schätzt hingegen, dass es sich um circa ein Drittel des Salzburger Bestands gehandelt habe.[6] Neben kleineren Schenkungen an Hausangestellte und Freunde gingen Teile seiner Bibliothek an die Salzburger Arbeiterkammer und an die dortige Musikschule (heute Universität Mozarteum).[7] Mehrere Kisten mit Widmungsexemplaren wechselten in den Besitz von Friderike Zweig, die beschlossen hatte, in Salzburg zu bleiben.[8] Seine circa 4.000 Bände umfassende Handbibliothek, bestehend aus Fachliteratur und einer umfangreichen Katalogsammlung, wurde mangels passender Käufer nach der endgültigen Auflösung des Salzburger Haushalts im Frühjahr 1937 zunächst in den Räumlichkeiten des Antiquariats Hinterberger gelagert.

In den kommenden Jahren erwarb, verkaufte und verschenkte Zweig weitere Bücher und Autographen in London sowie während längerer Aufenthalte in New York und im brasilianischen Petrópolis. Dort lebten Zweig und seine zweite Ehefrau Lotte nach einer ausgedehnten USA- und Lateinamerikareise im Jahr 1940. Angesichts der inzwischen auch in Großbritannien drohenden Kriegsgefahr beschlossen sie, nicht nach Europa zurückzukehren. Heute befinden sich Bücher aus Zweigs Autorenbibliothek (insofern ihr Verbleib bekannt ist) in Archiven, Bibliotheken sowie in Privatbesitz in Berlin, Halle, London, Marbach, Petrópolis, Salzburg und Zürich.

Die Bestände in Marbach und London sind auf besondere Weise verknüpft. Neben der bereits erwähnten Korrespondenz Zweigs mit Hinterberger liegt in der British Library ein wesentlicher Teil der Zweig’schen Autographensammlung, nämlich jener Teil, den Zweig aus Salzburg ins Exil nach London mitnahm (beziehungsweise von dort aus erwarb) und der nach dem gemeinsamen Suizid des Ehepaars Zweig 1942 in den Besitz der in London lebenden Erben überging und von der Familie schließlich im Jahr 1986 als Dauerleihgabe an die Bibliothek des British Museums (heute British Library) gespendet wurde. Unter den Zweigbeständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach befindet sich heute der größte geschlossene überlieferte Buchbestand aus Zweigs Besitz: 2.900 (der einst 4.000) Antiquariatskataloge aus der Handbibliothek des Schriftstellers, die 1937 bei Hinterberger zurückgeblieben waren. Die in den Katalogen enthaltenen Anstreichungen und handschriftlichen Notizen zeigen, welche anstehenden Auktionen, welche Angebote, Preisentwicklungen und Verkäufe der Autographensammler Zweig mitverfolgte. Darüber hinaus scheinen sie dem Schriftsteller Zweig oftmals als Inspiration oder durch in den Katalogen enthaltene Stückbeschreibungen und Abbildungen sogar als wertvolle Rechercheinstrumente für seine eigene Arbeit gedient zu haben. Ein Beispiel: Eine Ausgabe des Catalogues d’Autographes Français aus dem Jahr 1883, die ganz der Auktion von Briefen des französischen Schriftstellers Pierre de Beaumarchais gewidmet ist. Die Inhalte der Briefe sind, um das Interesse der Käufer zu schüren, im Katalog jeweils in einigen Sätzen zusammengefasst; zusätzlich wurden nachträglich händisch Zeitungsartikel eingeklebt, in denen der Wortlaut mehrerer Briefe Beaumarchais‘ aus den Jahren 1775 bis 1795 abgedruckt wurden. Ob Zweig diese Einklebungen selbst vorgenommen hat oder ein möglicher Vorbesitzer des Katalogs, lässt sich heute nicht mehr einwandfrei feststellen; zumindest lassen sich aber Parallelen zu Zweigs eigenem Werk konstatieren, die nahe legen, dass die Kataloginhalte indirekt Eingang in seine Arbeit gefunden haben: Beaumarchais und die rufschädigende Wirkung, die dessen Pamphlete und die Aufführung seiner Werke der französischen Monarchie in den Jahren vor der Revolution zusetzten, sind anschaulich in Zweigs biografischer Studie zur französischen Königin Marie Antoinette (1932)[9] nacherzählt.

Ausgabe des ›Catalogues d’Autographes Français‹ (1883). Unter den Einklebungen ist handschriftlich vermerkt: »Ces reproductions des lettres autographes de Beaumarchais sont extraites d’un compte-rendu inséré, avant la vente, dans le journal Le Figaro« [Die Reproduktionen der handgeschriebenen Briefe Beaumarchais‘ sind Auszüge aus einem Bericht, der vor dem Verkauf in dem Journal Le Figaro erschien.] (Foto: Jens Tremmel, DLA Marbach).

Um die Verbindungslinien zwischen den Londoner und Marbacher Zweigbeständen genauer zu untersuchen, verbrachte die MWW-Mitarbeiterin Stefanie Hundehege (wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fallstudie »Transatlantischer Bücherverkehr. Migrationswege und Transferrouten vor und nach 1945«) im Herbst 2021 einen zweimonatigen Forschungsaufenthalt in London. Dort arbeitete sie mit den Beständen der British Library und der London Library. Unterstützt und ergänzt wurden ihre Nachforschungen von den Archivar*innen, Bibliothekar*innen und Kurator*innen beider Einrichtungen sowie den heute in London lebenden Nachkommen der Zweig-Erben. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Recherchen lag auf der Provenienzgeschichte der in London befindlichen Teilnachlässe Zweigs. Darüber hinaus hält die in London liegende Korrespondenz Zweigs auch neue Erkenntnisse in Bezug auf die Geschichte des Marbacher Teils der Zweig’schen Katalogsammlung bereit, die – so viel sei hier bereits angedeutet – die Geschichte der Sammlung zwischen ihrer Einlagerung in Hinterbergers Antiquariat 1937 und dem Ankauf der Sammlung durch das Deutsche Literaturarchiv 1962 in ein neues Licht rücken.

Dr. Stefanie Hundehege ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Literaturarchiv Marbach für die Fallstudie »Transatlantischer Bücherverkehr«. Außerdem leitet sie die Forschungsgruppe »Provenienz«.

[1] British Library, Add MS 89376/1 Zweig–Hinterberger Jan 1936–März 1938, Brief von Hinterberger an Zweig, datiert 3. Jänner 1936, darin enthalten Abschrift Auftrag von Zweig an Hinterberger, datiert 15. Dezember 1935, S. 1.

[2] Zweig-Biograf Oliver Matuschek listet 991 Autographen auf, die sich zweifellos im Zeitraum zwischen 1913 und 1941 in Zweigs Besitz befanden. Oliver Matuschek: Ich kenne den Zauber der Schrift. Katalog und Geschichte der Autographensammlung Stefan Zweig. Wien: Inlibris, 2005, S. 161. Laut Schätzung von Matthias und Matuschek hatte Zweig nach seiner Emigration vor, sich von circa 750 Autographen zu trennen. Stephan Matthias u. Oliver Matuschek: Stefan Zweigs Bibliotheken. Dresden: Sandstein, 2018, S. 30/31. Rund 250 ausgewählte Stücke nahm er mit ins Exil nach London. »›Ich kenne den Zauber der Schrift.‹ Stefan Zweig als Autographensammler«. In: Aus dem Antiquariat 1/1998, 15–20 (S. 18).

[3] Matthias u. Matuschek: Stefan Zweigs Bibliotheken, S. 29.

[4] Heinrich Hinterberger: Repräsentative Originalhandschriften. Eine berühmte Autographen-Sammlung I. Teil. Katalog IX. Wien: Hinterberger, [1936].

[5] Thomas Bodmer: »›Weltliteratur, das ist der Weg des Menschen zu sich selbst‹. Stefan Zweig und Martin Bodmer als Sammler von Handschriften«, Librarium 49 (2006), 206–209 (S. 207).

[6] Matthias u. Matuschek: Stefan Zweigs Bibliotheken, S. 29.

[7] Matthias u. Matuschek: Stefan Zweigs Bibliotheken, S. 34.

[8] Matthias u. Matuschek: Stefan Zweigs Bibliotheken, S. 35.

[9] Siehe vor allem Stefan Zweig: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters. Berlin: Insel, 2019 (S. 195–199).

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