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Virtuelle Räume für die Nachwuchsförderung

Digitalisierung als Chance für mehr Flexibilität und Chancengleichheit

Die Pandemie und die damit einhergehende Digitalisierung hat in vielen Bereichen zu mehr Flexibilität geführt und den Zugang zu Bildungsangeboten erleichtert. Auch über die Ausnahmesituation hinaus sollten die neuen Formate beibehalten werden, um mehr Chancengleichheit in der Nachwuchsförderung zu ermöglichen.

Im Frühjahr 2021 sah ich die Ausschreibung der Summer School des Forschungsverbundes MWW. Das Thema war genau meins: Räume des Sammelns. Aber ich konnte meine Familie keine zwei Wochen am Stück alleine lassen. Also blieb mir doch nur, zu verzichten. Als Mutter eines kleinen Kindes in der Wissenschaft bin ich das ja schon gewohnt. Mal eben auf eine Konferenz fahren, sich für ein Fellowship bewerben, eine Forschungsreise machen – all das ist nur mit ausreichend Planung und Unterstützung möglich. Und oftmals geht es eben nicht, denn die Rahmenbedingungen sind nur selten passend für Familien. Familiengerechte Optionen gibt es oft gar nicht und wenn doch, dann sind sie meist nicht realistisch umsetzbar. Das höchste der Gefühle ist, dass die Familie mitgebracht werden darf. Mit etwas Glück gibt es sogar ein größeres Gästezimmer für diesen Zweck, vielleicht sogar einen Zuschuss zur finanziellen Förderung. Doch wie organisiert man sich vor Ort? Über einen längeren Zeitraum ohne Kinderbetreuung wird das schon schwierig. Ohne eine weitere Person, die sowohl dazu bereit als auch finanziell in der Lage ist, währenddessen alleine die Kinderbetreuung in einer wenig kindgerechten Umgebung zu übernehmen und gleichzeitig auf die eigene Arbeit und ggf. auf das eigene Einkommen zu verzichten, ist dies schlicht ausgeschlossen.

Foto: privat

Doch es ärgert mich. Ich bin es leid, dass es so oft als mein persönlicher Fehler erscheint, dass ich nicht frei und ungebunden bin. Dabei wird dies erst durch strukturelle Ungleichbehandlung zum Problem. Die Wissenschaft ist ein System, in dem es Menschen mit Familie, Behinderung oder finanziellen Nöten besonders schwer haben und schnell ausgeschlossen werden.

Ich schaute mir die Ausschreibung noch einmal an. Wir waren noch mitten in der Pandemie, doch ich konnte keine Informationen finden, ob die Veranstaltung digital oder in Präsenz geplant war. Also rief ich kurzentschlossen an. Es stellte sich heraus, es wurde hybrid geplant. Ich erklärte meine Situation und wurde ermuntert, mich zu bewerben. Also gut. Am Ende war es sogar möglich, einen Teil der Zeit von zu Hause und einen Teil vor Ort teilzunehmen. So viel Flexibilität war plötzlich vorhanden und ich konnte problemlos teilnehmen.

Warum erzähle ich das hier eigentlich? Ich möchte aufmerksam machen auf eine Errungenschaft der Pandemie: Flexibilität durch Digitalisierung. Natürlich ist es toll, persönlich vor Ort zu sein. »Wie schön, dass wir endlich alle wieder zusammenkommen können«, so wurden wir am ersten Tag der Summer School begrüßt. Naja, drei von uns waren digital zugeschaltet und wir fühlten uns an dieser Stelle ziemlich ausgeschlossen. Aber die Euphorie angesichts eines vollen Tagungsraumes nach anderthalb Jahren gähnender Leere ist absolut nachvollziehbar. Ich möchte hier auch nicht dafür plädieren, alles nur noch online zu machen. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, dass durch digitale und hybride Formate eine größere Anzahl von talentierten Nachwuchswissenschaftler*innen Zugang zu solchen Veranstaltungen und Fördermaßnahmen bekommen können. Laut dem aktuellen Bundesbericht zum Wissenschaftlichen Nachwuchs sind ein Sechstel der Promovierenden Eltern, unter den promovierten Wissenschaftler*innen an Hochschulen ist es sogar die Hälfte. Familie und Wissenschaft ist keine Randerscheinung, auch wenn immer noch viele wegen der Umstände im Wissenschaftsbetrieb trotz Kinderwunsch auf die Familiengründung verzichten. Doch nicht nur Kinder sind schwer mit wissenschaftlicher Karriere vereinbar. Auch für Nachwuchswissenschaftler*innen, die beispielsweise finanzielle Probleme haben, Angehörige pflegen oder selbst eine Beeinträchtigung haben, werden stark benachteiligt. Es ist also an der Zeit, Residenzpflichten zu überdenken und flexiblere Modelle anzubieten. Parallel über inklusivere Bedingungen vor Ort nachzudenken versteht sich von selbst, denn ein Archivaufenthalt kann natürlich nicht via Zoom erfolgen.

Nein, es lief nicht alles perfekt in der hybriden Summer School, aber ja, das Format ist ausbaufähig und bietet viele Möglichkeiten. Das richtige Equipment ist ebenso essentiell, wie eine entsprechende personelle Betreuung des Formats. Echte Hybridität ist kein Selbstläufer und kann nicht nebenbei noch von ohnehin überlasteten Mitarbeitenden gestemmt werden. Auch ist nicht jede Veranstaltungsart für eine Eins-zu-eins-Übertragung geeignet. Manchmal ist Umdenken gefragt und es sollte auf dezidierte Onlineformate zurückgegriffen werden. Sicherlich ist es eine Herausforderung eine auch für digital Teilnehmende ansprechende Veranstaltung zu organisieren. Ich möchte diese Herausforderung aber als Chance verstanden wissen, auch über die Pandemie hinaus offener und flexibler zu werden. Es ist an der Zeit, auch unter Nachwuchswissenschaftler*innen Bildungsgerechtigkeit im Blick zu haben und Nachwuchsförderungen unabhängiger zu machen von persönlichen Verpflichtungen, körperlichen Einschränkungen oder finanziellen Möglichkeiten.

Lina Dolfen ist Doktorandin am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn. Ihr Promotionsprojekt zur Musealisierung des Märchens wird von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. Im August 2021 nahm die Mutter eines vierjährigen Sohnes an der Summer School »Collection Spaces – Räume des Sammelns« des Forschungsverbundes MWW in Weimar teil.

 


Die International Summer School 2021 »Collection Spaces – Räume des Sammelns« fand unter Berücksichtigung der zu der Zeit geltenden Pandemierichtlinien statt. Zusätzlich wurde ein Online-Angebot erprobt, das eine digitale Teilnahme möglich machte.

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