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Drei Grazien und Voltaire – Ein Brieffund in Weimar

Ein Zufallsfund in Weimar erzählt von der Begegnung Voltaires mit Philippine Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel (1716–1801), Büchersammlerin und eine der Protagonistinnen im MWW-Projekt Weltwissen.

»Brief eines ungenannten Braunschweiger Prinzen« – so ist der Brief im Großherzoglichen Hausarchiv A XVIII (Anna Amalia) Nr. 8b im Findbuch betitelt, den ich im Rahmen meiner Recherchen zur Fürstin Philippine Charlotte von Braunschweig-Wolfenbüttel im Weimarer Hauptstaatsarchiv ansehen wollte. In der Hoffnung, mehr über die Beziehung Philippine Charlottes zu ihrer Tochter Anna Amalia zu erfahren, klickte ich mich durch die Familienkorrespondenz, die auf Mikrofiche einsehbar ist. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich auf dem Bildschirm ein geschwungenes »V« erkannte, das eindeutig Voltaires Hand zuzuordnen ist.


Brief von Voltaire; © Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Großherzogliches Hausarchiv A XVIII Nr. 8b, Bl. 2.

Ein Besuch in Braunschweig
Der Brief wurde an einem 15. Oktober in Braunschweig verfasst und ist an den »roy des coeurs et des esprits« (König der Herzen und der Geister) adressiert, wobei es sich um niemand anderes handelt als Friedrich II. von Preußen. Voltaire berichtet von seiner Reise nach Braunschweig und thematisiert das Kennenlernen mit der dortigen Herzogin Philippine Charlotte (1716–1801), vierte Schwester Friedrichs und Mutter Anna Amalias.

Der Brief ist mit großer Sicherheit auf das Jahr 1743 zu datieren. Der französische Philosoph reiste im Oktober aus Berlin ab, ausgestattet mit einem Empfehlungsbrief des Königs an Philippine Charlotte. Diese bestätigt in einem Brief vom 18. Oktober das Kennenlernen und zeigt sich außerordentlich begeistert von ihrer neuen Bekanntschaft. Zudem ist eine Visite Voltaires in der Wolfenbütteler Bibliothek am 17. Oktober belegt, wo er sich ins Besucherbuch eingetragen hat: »François de Voltaire agé de quarante sept ans né à Paris« – François de Voltaire, 47 Jahre alt, geboren in Paris. Was es mit der falschen Altersangabe auf sich hat – Voltaires 49. Geburtstag stand zu dem Zeitpunkt kurz bevor – konnte ich bisher nicht klären.

Eintrag von Voltaire in das Wolfenbütteler Besucherbuch © Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

In seinem Schreiben berichtet Voltaire von seinem Treffen mit Philippine Charlotte, bei dem auch die Gesundheit ihrer Mutter Sophie Dorothea besprochen wurde. Voltaire drückt seine Sorge um die Königin Mutter aus, da er seiner Ansicht nach Zeichen eines bevorstehenden Schlaganfalls beobachtete. Der Brief endet mit einem Lobgedicht auf Friedrich.

Ein Gedicht auf Philippine Charlotte
Der Brief aus dem Weimarer Archiv beinhaltet aber auch ein Gedicht, das in Voltaires Œuvres complètes Eingang gefunden hat:

Pardon, charmante Ulric, pardon, belle Amélie;
J'ai cru n'aimer que vous le reste de ma vie.
Et ne servir que sous vos lois;
Mais enfin j'entends et je vois
Cette adorable sœur dont l'Amour suit les traces.
Ah! ce n'est pas outrager les trois Grâces
Que de les aimer toutes trois.

Verzeihung, bezaubernde Ulrike, Verzeihung, schöne Amalie,
Ich dachte nur Sie lieben zu können für den Rest meines Lebens.
Und nur unter Ihren Gesetzen zu dienen;
Aber schließlich höre und sehe ich
Diese anbetungswürdige Schwester, deren Spuren die Liebe folgt.
Ah! Es ist keine Kränkung der drei Grazien,
Sie alle drei zu lieben. [Übersetzung der Autorin]


Brief von Voltaire, © Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Großherzogliches Hausarchiv A XVIII Nr. 8b, Bl. 1.

Aus dem Kontext des Briefes geht aber eindeutig hervor, dass der Autor sich auf Philippine Charlotte bezieht. In den kommentierten Editionen wurde diese dritte Schwester fälschlicherweise als Wilhelmine von Bayreuth identifiziert, die Voltaire zu diesem Zeitpunkt zwar schon kannte, hier aber außen vor lässt.
Wie Voltaires Brief nach Weimar in das Großherzogliche Hausarchiv kam, konnte ich bisher nicht klären. Denkbar wäre aber, dass Friedrich II., Adressat des Briefs und Anna Amalias Onkel ihr das Schriftstück schickte.

Voltaire und das Haus Braunschweig-Wolfenbüttel
Auch nach seinem Besuch in Braunschweig blieb Philippine Charlotte in Kontakt mit Voltaire. Ein Briefentwurf der Fürstin an den Philosophen findet sich in ihrem Nachlass und in der Korrespondenz mit Friedrich II. sind seine Person und sein Werk immer wieder ein Thema. Noch im November 1783, also fünf Jahre nach Voltaires Tod, bedauert die Fürstin, dass es in Frankreich keine würdigen gelehrten Nachfolger gebe.
Darüber hinaus sind Voltaires Beziehungen zu Familienmitgliedern Philippine Charlottes vielfältig. So adressierte er etwa seine Lettres sur Rabelais an ihren Sohn und Braunschweiger Thronfolger Karl Wilhelm Ferdinand.  Allgemein muss man aber sagen, dass die Verbindungen zwischen Voltaire und dem Haus Braunschweig-Wolfenbüttel relativ wenig erforscht sind. Wer weiß, welche Fundstücke die Archive noch bereithalten.


Joëlle Weis ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Fallstudie Weltwissen und leitet die Forschungsgruppe Ökonomie.

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