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»Ein Ingenieur nicht nur bedacht seÿn muss, eine Festung an sich starck zu machen [...]«

Leonard Christoph Sturm ›dogmatisiert‹ seine Festungstheorie

Um 1700 ist Leonhard Christoph Sturm (1669−1719) in Wolfenbüttel beinahe heimisch. Im akademischen Betrieb ein Routinier, zudem ein Vielschreiber und auch mit der höfischen Etikette vertraut, verbaut ihm nur sein aufbrausendes Temperament die ersehnte Karriere zum Baudirektor und anderen Ämtern. Dennoch hat er während seines Aufenthaltes in der welfischen Residenz (1692–1702) manches erreicht und erlebt: Zwei von den Herzögen geförderte Auslandsreisen konnte er absolvieren (1697 sechs Wochen in die Niederlande und zwei Jahre später 15 Wochen durch die Niederlande nach Paris), den Hochaltar der Pfarrkirche St. Benedikti in Quedlinburg hat er entworfen, der baulich auch realisiert wurde und seine fortifikatorischen Überlegungen kommen voran. Was die Militärbaukunst anbetrifft, ist Sturm dabei, drei einschlägige Traktate in kurzem zeitlichen Abstand aufeinander zu publizieren (1700, 1702 und 1703).

Die Handschrift Leonhard Christoph Sturms kurze Anleitung zum Festungsbau nach dessen Manier, nebst den Rißen, mit auch einer kurzen Anleitung zur Mechanik – wir haben daraus mehrere Risse auf Twitter präsentiert – ist ein nicht gedruckter Beitrag Sturms zur Militärbaukunst. Das Manuskript im Bestand der »Extravagantes« der Herzog August Bibliothek (Signatur: A.2 Extravagantes) ist womöglich das Ergebnis einer Übungsserie, die die erwähnten drei Volltraktate begleitete. Oder es diente der militärischen, genauer militärbaukundlichen Ausbildung der jungen Herren an der Ritterakademie.

          

Architekt und Ingenieur. Baumeister in Krieg und Frieden. Ausstellung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 5. Mai bis 18. November 1984. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 1984, Abb. S. 22 u. S. 30.

Nach dem letzten »Riss O«, in dem Sturm eine möglichst kostenknappe und ressourcenschonende Verstärkung der Stadtbefestigung Wolfenbüttels konzipiert, ›dogmatisieren‹ 19 »kurtze Maximen welche [...] beÿ allen guten Festungen erfordert« das Mindset des Wolfenbütteler Baumeisters. Den Auftakt bilden fünf »General Maximen«, sie bringen Allgemeines zum Ausdruck: etwa dass »ein Ingenieur nicht nur bedacht seÿn muss, eine Festung an sich starck zu machen, sondern auch die Guarnison und Canonen der Festung Vor des Feindes Canonen, Granaten und Bomben wol zu versichern.«

Fiktives Belagerungsszenario. In: L. Chr. Sturm: Bescheidene exception, Und Submittierung zum Außspruch unpartheyischer und competirender Richter ..., Frankfurt/Oder 1704.

Artillerieschussbahnen und -positionen nach Daniel Specklin. In: Stefan Bürger: Architectura Militaris. Festungsbautraktate des 17. Jahrhunderts von Specklin bis Sturm. Berlin, München: Deutscher Kunstverlag 2013, S. 148.

Ferner sei es wichtig, ein Festungswerk für den schweren Beschuss mit »Stücken [Eisen], Musqueten und Haubitzen, Steinen und Cartätschen« vorzubereiten. An den geordneten Rückzug der Verteidiger beim Vordringen der Angreifer sei ebenfalls zu denken, so wie vor allem eine gute Anzahl von Hindernissen letztere nachhaltig aufhalten kann.

Dann folgen 14 »Special Maximen«, die an die vorangegangenen Risse nebst ihrer Erläuterungen anknüpfen und Sturms Festungscredo resümieren. Die Punkteliste beginnt beim Hauptwall, der »der Bomben und Minen wegen hohl gebauet« sein soll, was schwer einleuchtet, wenn es um die Widerstandskraft der Mauerstruktur geht. Allerdings heißt es weiter, dass »Gantz massiv mit Erden angefütterte Wälle ein anzeigen eines Ingenieurs [seien], der die heüt zu tage übliche attaque nicht verstehet.« Worin genau der fortifikatorische Vorteil einer hohlen, definitiv nicht erdbefüllten Mauer liegt, wird nicht ausgeführt, ebenso wenig wie es zuvor expliziert wurde. Über Sturms überselbstbewusste Abqualifizierung von Manieren, die gefütterte Wälle favorisieren, kann nur gestaunt werden. Aber genau das ist Sturm: positive wie negative Meinungen, immer voll heraus. Will Leser*in entscheiden, wie Sturms Urteil einzuschätzen ist, bedarf es der erwähnten Volltrakte. Die zu lesen, ist aber Herausforderung. Letztendlich will bedacht sein, dass wie schon erwähnt, die Handschrift Übungscharakter hatte, auch für Sturm selbst, der seine eigene fortifikatorische Kompetenz professionalisieren musste. In dem Manuskript dürfte manche Details nur abgekürzt aufgenommen sein. Gleichwohl beeindrucken die starken Urteile Sturms, die sich immer wieder zeigen, so auch in der präskriptiven Ansage, Raveline [kleine solitäre Bollwerke] seien »unentbehrliche Außenwercke«; und »ein guter Ingenieur« würde darauf achten, dass man auf der »Contrescarpe [die äußere Grabenböschung] eisern [schwere] Canonen gebrauchen kan.« So knapp und dezidiert die Maximen, so kurz und bündig ihr Abschluss mit den Worten »Ende der Maximen«.


Jörn Münkner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Fallstudie ›Intellektuelle Netzwerke‹ an der Herzog August Bibliothek. Die Privatbibliothek, die Korrespondenzen und die Ausleihen des Gelehrten Leonhard Christoph Sturm werden in einem digitalen Labor im Virtuellen Forschungsraum vorgestellt. 

 

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