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Vom Identitätssymbol zum Mahnmal

Die Fragen stellte Nicole Alexander.

Frau Tauber, gibt es ein Nationaldenkmal, das Sie besonders gelungen finden?

Da kann es in einem Interview über einen Abendvortrag in Weimar natürlich nur eine Antwort geben: das  Goethe-und-Schiller-Denkmal vor dem Weimarer Nationaltheater. Dieses von Ernst Rietschel geschaffene Denkmal für die „Kulturnation“ Deutschland gefällt mir deshalb, weil es frei ist von nationalchauvinistischer Aufladung und bürgerlich-unmonumental daherkommt. Oder, um es mit den Worten des Historikers Wolfgang Hardtwig zu sagen: „Rietschel jedenfalls ist eines der unprätentiösesten, originellsten und sympathischsten Exempel der an ästhetisch und politisch durchaus fragwürdigen Produkten so reichen deutschen Nationaldenkmalskultur des 19. Jahrhunderts gelungen.“ Grundsätzlich bin ich allerdings der Meinung, dass die Zeit der Nationaldenkmäler und das damit einhergehende Denken in nationalen bzw. nationalistischen Stereotypen vorbei sind. Und das ist auch gut so.

Dem Historiker Thomas Nipperdey zufolge ist ein Nationaldenkmal das, was als solches bezeichnet wird. Inwiefern finden Sie diese Definition zutreffend?

Zutreffend scheint mir diese Definition in Nipperdeys nach wie vor kanonischem Aufsatz „Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland“ insofern, als sie die schwierige Frage der Akzeptanz von Denkmälern und der Interessengebundenheit derjenigen, die sie errichten, thematisiert – wenn die Zeitgenossen ein solches Monument als „Nationaldenkmal“ bezeichnet haben, wurde es wohl zumindest zum gegebenen historischen Zeitpunkt als solches betrachtet. Ausreichend hingegen ist die Definition sicherlich nicht, aber Nipperdey schreibt ja selbst, er habe sie auch nur als „nominalistische“ Minimallösung eingeführt. Und er bietet durchaus mehr an, indem er sogenannte Sachbedingungen definiert, die erfüllt sein müssen, damit man von einem Nationaldenkmal sprechen kann: Zum einen die Vergegenwärtigung der Nation als Ganzer durch die Darstellung einer personalisierten oder ereignishaften Vergangenheit. Zum anderen die Verewigung einer jeweiligen Gegenwart. Und schließlich die Sichtbarmachung einer – wie auch immer ideologisch gewendeten – Idee. Sein überzeugendes Fazit lautet: „Das Nationaldenkmal ist ein Versuch, der nationalen Identität in einem anschaulichen, bleibenden Symbol gewiss zu werden.“

Ihr Vortrag trägt den Titel „Wie baut man sich ein Nationaldenkmal? Ambitionierte Projekte in Deutschland und Frankreich“. Inwiefern unterscheiden sich die beiden Länder mit Blick auf ihre Denkmalkultur?

Zum einen setzt die Denkmalkultur in Frankreich früher ein als in Deutschland. Allerdings bleiben die allermeisten dieser Projekte im Stadium der ephemeren oder Papier-Architekturen im Umfeld der Französischen Revolution und ihrer Feste stecken. In Deutschland hingegen ist gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine wahre Denkmalflut zu konstatieren. In Frankreich zeichnet sich zum anderen ein Trend zur Entpersonalisierung von Denkmälern ab, indem die größtenteils im Zuge der Revolution gestürzten Königsstatuen auf den Places royales durch Repräsentationen des gesamten Volkes bzw. der gesamten Republik ersetzt werden sollen. Der Versuch, auf der vom Revolutionsvandalismus geschaffenen tabula rasa ein völlig neues Zeichen-, Symbol- und Monumentensystem zu errichten, scheitert jedoch. In Deutschland finden wir die gegenläufige Entwicklung mit der Errichtung monumentaler Individualdenkmäler post mortem, vor allem für Kaiser Wilhelm I. und für Bismarck. Der zentralistischen, staatsgelenkten Trägerschaft der französischen Denkmalkultur steht die durch den Föderalismus bedingte deutsche Pluralität entgegen, die neben den Nationaldenkmälern eine große Bandbreite an regional unterschiedlichen Monumenten zulässt.

Die von Ihnen eben bereits konstatierte Denkmalflut in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte nicht zuletzt das Ziel, die nationale Identitätsfindung zu befördern. Ein gelungenes Unterfangen?

Diese Frage lässt sich wohl nur für jeden Einzelfall und auch nur für eine je spezifische historische Situation beantworten. Die Walhalla als Ruhmeshalle für die Kulturnation Deutschland, die zudem als work in progress konzipiert war, also die Aufnahme immer neuer Büsten vorsah, „funktionierte“ sicherlich im 19. Jahrhundert im Sinne einer gesamtnationalen Identitätsfindung recht gut, obwohl sie auf die Initiative des Bayernkönigs Ludwig I. zurückging. Bei stärker preußisch konnotierten Denkmalprojekten wie den Kaiser-Wilhelm-Denkmälern auf der Hohensyburg oder am Deutschen Eck dürfte sich das schwieriger gestaltet haben. Generell waren diejenigen Denkmäler am erfolgreichsten, die ihren Aussagegehalt mit anderen gesamtnationalen Ideologemen wie dem deutschen Heimatgefühl oder der als typisch deutsch eingeschätzten Landschaft verbinden konnten. Sie entwickelten sich zudem zu Touristenattraktionen und beliebten Ausflugszielen, die eine breite Öffentlichkeit sowie sämtliche soziale Schichten ansprachen und auch finanziell rentabel waren.

Die Pläne für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin wurden jüngst vorerst gestoppt, zuvor hatte Leipzig einen Architekturwettbewerb über die Gestaltung eines Einheitsdenkmals abgebrochen. Ist dieses zumindest vorläufige doppelte Scheitern innerhalb weniger Jahre Zufall oder ein Indiz dafür, dass Nationaldenkmäler einfach nicht mehr zeitgemäß bzw. konsensfähig sind?

Wie schon angedeutet, scheint mir die nationale Komponente erfreulicherweise nicht mehr das vorherrschende Paradigma unseres heutigen Staatsverständnisses zu bilden. In Zeiten des zumindest gern als Lippenbekenntnis vorgetragenen Postkolonialismus und der fortschreitenden neokapitalistischen Globalisierung sind Nationaldenkmäler nicht mehr zeitgemäß. Allerdings scheint mir ein weiterer Grund für das doppelte Scheitern in Berlin und Leipzig auch in der nicht mehr gegebenen ästhetischen Urteilsfähigkeit der Jurys zu liegen: In Berlin fiel die Entscheidung für diejenige künstlerische Lösung, die mit der derzeitigen Spaß- und Freizeitgesellschaft am ehesten konform zu gehen schien. Die Interessenpluralität, die sich in der Bundesrepublik eben nicht mehr primär über nationale Kategorien definiert, scheint kein Sensorium mehr für autonome Kunstwerke, die sich durch eine stimmige Form-Inhalts-Kongruenz auszeichnen, zu haben oder haben zu wollen.

Finden Sie denn die im 19. Jahrhundert in Deutschland errichteten Nationaldenkmäler in ästhetischer Hinsicht in sich stimmig?

Nein, längst nicht alle sind als gelungene Kunstwerke zu betrachten, ganz im Gegenteil. Dagegen sprechen doch allzu viele Beispiele, die einen unerträglich martialischen Stil aufweisen, der für heutige Betrachter bisweilen sogar ins Lächerliche abgleitet. Und der Versuch, das Problem der Konsensfähigkeit durch formale Abstraktion zu lösen, wie bei den so genannten Bismarcktürmen, war ja ebenfalls nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt. Die Zeit der Nationaldenkmäler ist spätestens mit dem Ende des Ersten Weltkriegs vorbei, als der nationale Heroismus in die Trauer und Verzweiflung über die sinnlosen Todesopfer einer militarisierten Nation umschlägt und fortan eigentlich nur noch Mahnmale errichtet werden.


Dr. Christine Tauber ist Professorin für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Kunst der italienischen und französischen Renaissance, Kunstwerke als historische Quellen, Patronageforschung, Geschichte der Kunstgeschichte (insbesondere Jacob Burckhardt) sowie französische Kunst zwischen 1780 und 1830. 

Am 5. August 2016 um 19 Uhr hält Tauber im Goethe-Nationalmuseum in Weimar einen Vortrag mit dem Titel „Wie baut man sich ein Nationaldenkmal? Ambitionierte Projekte in Deutschland und Frankreich“. Der Vortrag ist öffentlich, der Eintritt ist frei. Er findet im Rahmen der diesjährigen Internationalen Sommerschule des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel (MWW) in Weimar statt, die sich dem Thema „Wie entsteht ein Nationalautor? – Konstruktion und Ambition“ widmet.

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